Reconciliation of the World Religions
26.11.2014 - 15:45
Please find below valuable reflexions (in German) about the reconciliation of world religions in everyday life from Dr. Martin Gillo, Saxon Commissioner for Foreign Nationals. With pleasure I recommend these helpful suggestions for the public discussion in our society (published in Freie Presse, Dresden, 25. November 2014):
Bei aller Vielfalt: Wir gehören zusammen!
Martin Gillo
Im Jahre 2010 wird der neunzehnjährige christliche Iraker Kemal K. in Leipzig vor dem Hauptbahnhof von zwei Neonazis mit einem Messer erstochen. Er ist mit seiner
deutschen Freundin auf dem Nachhauseweg. Aufgrund der Zeugenaussagen wird schnell klar, dass es sich um einen rassistisch motivierten Mord handelt. Die Polizei
kann die beiden Täter festnehmen. Freunde der Familie bitten mich, gemeinsam mit ihnen die Familie K. am nächsten Abend zu besuchen.
Die Familie ist sowohl christlich als auch islamisch. Der Bruder ist Muslim, die Mutter eine koptische Christin, der Vater ein Muslim. Kemal war der evangelischen Kirche in
Leipzig beigetreten und getauft. Welch Leid, welch herzzerbrechender Schmerz in der Familie!
Koptische und muslimische Freundinnen sitzen in der Wohnung bei der Mutter und spenden ihr Trost. Bei der Verabschiedung sagt mir der Vater: „Islam und
Christentum. Wir haben doch alle den gleichen Gott.“ Hier, in dieser Situation, liegt der Schlüssel für unseren zukünftigen Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Christentum und Islam existieren in dieser Familie friedlich miteinander. Religiöse Dogmatiker beider Religionen sind sich in über 1300 Jahren ausgeklügelter
Argumente keinen Schritt näher gekommen. Doch eine normale Familie in Not erkennt die große Wahrheit der Aufklärung: beide Religionen sind gleichwertig.
Wie anders sieht es in den gegenwärtigen Debatten in Deutschland aus. Jahrzehntelang fühlten wir uns den Zuwanderern und ihren Religionen überlegen.
Auch dem Islam verweigern wir einen gleichberechtigten Status in unserer Gesellschaft. Doch welcher Mensch, welche Institution will auf Dauer
herabschätzend behandelt werden?
Was kann man tun, wenn man es nicht allein schafft, gleichwertig behandelt zu werden? Man sucht sich einen starken Partner. Ein solch potenzieller Partner für
diese nicht gleichwertig Behandelten ist der Islamismus. Je mehr wir Muslime und dem Islam unseren Respekt verweigern, desto mehr stärken wir den Islamismus.
Ungewollt gießen die Medien Öl in das Feuer. Auch die „Öffentlichen“ leben von der Einschaltquote: Je dramatischer die Sendungen, desto mehr Zuschauer. Kein
Wunder, dass Jauch und Co. den radikalsten statt den moderatesten unter den islamischen Richtungen Zeit vor der Kamera geben, um uns mit ihren Argumenten
Angst einzujagen. Da gehen die Quoten hoch, unsere Angst auch – und der Respekt vor einem konstruktiven Islam herunter.
Aber wir brauchen keine Angst zu haben. Die Salafisten stellen etwa 6000 von 4,4 Millionen Muslimen in Deutschland. Unsere Ordnungskräfte funktionieren so gut,
dass Deutschland bisher von Terrorakten verschont geblieben ist. Der „Kalif von Köln“ wurde ausgewiesen. Die Führer der Salafisten agieren zum Teil wie
Hauptschüler, die sich selbst nach Schnellkurs zu Predigern des Islam ernannten.
Sie wissen zu wenig, um zu wissen, dass sie zu wenig über einen wirklichen Islam wissen. Inzwischen hat sich eine neue Gruppe zum Retter vor dem Islam erklärt.
Pegida: Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Pegida organisiert in Dresden Montagsdemos gegen radikale Muslime.
Tausende gehen aus Angst und Sorge vor einer Islamisierung Deutschlands mit Pegida auf die Straße.
Ebenso ist eine andere Gruppe mit identischen Parolen unterwegs: Hogesa, also Hooligans gegen Salafisten. Wie bitte? Typen, die aus purer Lust Schlägereien am
Rande von Fußballspielen auslösen, wollen sich uns als Verteidiger des Abendlandes anbieten? Die Vorstellung ist doch ein reiner Witz.
Auf der einen Seite wollen sich die Salafisten zum Sprachrohr des Islam aufschwingen. Auf der anderen Seite will eine Schlägertruppe für uns das christliche
Abendland retten.
So etwas gehört in eine Comedy Show, aber nicht in die Realität. Und Vorsicht. Je mehr diese Bewegungen unseren öffentlichen Dialog vergiften, desto größer wird die
Gefahr eines „doppelten Hoyerswerda-Effekts“: Verunsicherte Bürger beider Seiten, jubeln der Gewalt „ihrer“ Radikalen zu.
Pegida und Hogesa schaden unserer Gesellschaft auf kurze und lange Sicht. Pegida sagt zwar, dass sie für uns kämpft, aber in der Wirkung sind sie wie unsere
schlimmsten Feinde, weil sie den Salafisten Zulauf verschaffen. „Pegida und Hogesa schaden unserer Gesellschaft auf kurze und lange Sicht.“
Pegida und Hogesa sollten wir links liegen lassen, die Ordnungsstaatlichkeit unterstützen und den Dialog auf Augenhöhe mit dem verfassungstreuen Islam
stärken.
Wir tun gut, uns an die Worte von Christian Wulff zu erinnern: „Mittlerweile gehört der Islam zu Deutschland.“ Unser Aufschrei über diesen Satz vergaß meist das erste
Wort in diesem Satz: Mittlerweile. Gestern noch und tausend Jahre davor gehörte der Islam nicht zu Deutschland. Heute tut er das.
Wir alle sind immer zuerst Menschen. Erst danach sind wir Mitglieder einer Religionsgemeinschaft, oder eben auch nicht. Erst danach haben wir einen
bestimmten Reisepass und sind Teil einer bestimmten Kultur. Wer in sein Herz tief hineinhört, der entdeckt: Egal, wieviel uns auch zu trennen scheint, unsere
gemeinsame Menschlichkeit ist größer als alles Trennende. Dieses Verbindende hilft uns; denn wir sind eine Gesellschaft der Vielfalt, auch der
religiösen Vielfalt. Und die setzt häufig auf das Trennende. Vielfalt auch in der Religion anzuerkennen wird immer eine große Herausforderung für die meisten
Religionen bleiben, das Christentum eingeschlossen. Für unser Grundgesetz ist das dagegen leicht. Gehören wir einer Religion an? Sind
wir säkular? Wollen wir einer Religion beitreten oder sie verlassen? Das ist unsere eigene freie Entscheidung. Unsere Gesellschaft garantiert uns dieses Recht und
schützt uns so.
Unsere offene Gesellschaft steht nämlich für ein Bekenntnis zu den fünf Grundfesten unserer gemeinsamen europäischen Kultur: Demokratie, Trennung von Kirche und
Staat (Laizismus), Primat der Vernunft bei gesellschaftlichen und rechtlichen Entscheidungen (Aufklärung), die allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die
Zivilgesellschaft, also die Einbindung der Bevölkerung in wesentliche Entscheidungen, die sie betreffen.
Menschlicher Zusammenhalt, gegenseitiger Respekt, Begegnung und Zusammenarbeit auf Augenhöhe sind der Kitt in dieser Vielfalt. Diese
Perspektive müssen wir uns immer wieder neu erobern. Jeder von uns ist ein Naturtalent im Kritisieren der Anderen.
Im Augenblick sind wir geschockt von den entsetzlichen Verbrechen, die der sogenannte Islamische Staat im Nahen Osten begeht. Bei seinen Gräueltaten beruft
er sich auf den Islam. Christen werden über Nacht enteignet und verjagt. Sie können von Glück sagen, wenn sie überhaupt mit dem Leben davonkommen. Schiiten
werden von Sunniten massenweise ermordet. Mit anderen Worten: Muslime töten massenweise andere Muslime, und alles geschieht im Namen des gleichen Allah, zu
dem sich beide bekennen.
So etwas kennen wir schon aus dem Dreißigjährigen Krieg in Deutschland. Minimale Unterschiede in der Interpretation des christlichen Glaubens führten zu entsetzlichem
Massenmord. Steht dem Islam eine ähnliche Zeit des gegenseitigen Mordens bevor? Solch ein Regime müssen wir verurteilen. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland
hat das in aller Klarheit getan. Der sogenannte Islamische Staat dort sei mit dem Islam nicht vereinbar. Er verurteilte die Verfolgung der Christen dort und appellierte
an alle Glaubensgemeinschaften, Solidarität für die Verfolgten auch anderer Glaubensrichtungen zu zeigen, egal ob im Ausland oder Deutschland. Ein
bemerkenswertes Bekenntnis.
Antoine de Sainte-Exupéry hat Recht: Nur mit dem Herzen sieht man wirklich gut. Dieses Sehen mit dem Herzen erfuhr ich in der Familie des ermordeten jungen
Mannes in Leipzig. Ich wünsche uns, dass wir alle lernen, die Chance des solidarischen und gleichwertigen Miteinanders aller Menschen und der
verschiedenen Religionen mit unserem Herzen zu erkennen und uns dafür einzusetzen.